Zu den 16. DEFA-Filmtagen 2021 wurde die Sixti-Ruine in Merseburg erstmals als Austragungsort im Open-Air-Stil genutzt. Im Rahmen des Kulturschatzsommers 2022 soll die mystische Gestalt der Kirchenruine nun wieder genutzt werden. Doch was verbirgt sich hinter den altehrwürdigen Mauern? Welche Geschichte steckt in den Fugen der alten Steine?
Fährt man von Osten in die Stadt hinein, so kann man gegenüber des Stadtgottesackers den hochaufragenden Sixtiturm sehen. Erbaut wurde das Ensemble im Auftrag des Merseburger Bischofs Hunold im Jahre 1045. Im Jahre 1327 wurde an selber Stelle ein Neubau zur Stiftskirche erhoben. Die Kirche bildete den Kern eines kleinen Viertels. Weswegen damals Plätze und Bauten nach der Kirche benannt wurden, so z. B. die Sixtistraße, das Sixtitor oder der Sixtihügel. Erhaben auf diesem Hügel liegend, wurde die Kirche 1454 mit einer übergroßen Turmhaube, die größer als der Turm selbst war, versehen (Abb. 1). Im Turm befand sich damals das als schönstes der Stadt geltende Glockengeläut, bestehend aus drei Glocken, von denen die größte, damals etwa 500 Jahre alte, Glocke beim Trauergeläut für Herzog Christian I. 1691 zersprang. Daraufhin wurde sie umgegossen und später neu angebracht. Die Stadtkirche St. Maximi besaß hingegen nur einen schlichten Westquerturm, wodurch die Sixti-Kirche mit eigenem Viertel eine wichtige Landmarke Merseburgs darstellte.
Im frühen 16. Jahrhundert wurde mit dem Neubau eines spätgotischen Kirchenschiffes begonnen. Dieses war 33 m lang und 21 m breit, wodurch es das größte Kirchenschiff Merseburgs war. Der Dom maß nur 28 x 22 m. In einem Teil des Kreuzgangs wurde Mitte des 16. Jahrhunderts ein Pesthaus angewiesen, das später als Hospital diente. Mit Beginn der Reformation verlegte man das Kollegiatstift in die Domfreiheit. Die Kirche wurde sukzessive aufgegeben. Ab 1563 gab es keinen eigenen Pfarrer mehr, zwei Jahre darauf brachte man die Orgel in die Stadtkirche St. Maximi, wo sie noch bis 1722 gespielt wurde. Der Altar wurde 1613 in die Gottesackerkirche gegenüber von St. Sixti verlegt. Das Einzige, was in der Kirche verblieb, war das Glockenspiel, das aufgrund der schlechten Statik des Glockenturmes der Stadtkirche, die kirchlichen Anlässe mit ihrem Klang verkündete. Der an der Kirche angrenzende Friedhof wurde nur noch für jene genutzt, denen ein Begräbnis auf dem Stadtgottesacker verwehrt blieb. Dazu gehörten arme Leute, Selbstmörder, Verbrecher, Andersgläubige, uneheliche Kinder, aber auch Soldaten, die während des Siebenjährigen Krieges, vor allem aus der Schlacht von Roßbach (1757), verwundet nach Merseburg kamen. Die Wirren des Dreißigjährigen Krieges trafen auch die Kirche. Wann sie in den ruinösen Zustand verfiel ist unklar, Moebius berichtet in seiner 1668 erschienenen Chronik, die Kirche sei „mehrenteils eingegangen und will es niemand, auch von den alten Leuten nicht gedenken, wann solches geschehen“. 1603 wird zumindest bereits von der „alte[n] eingefallene[n] Kirche St. Sixti“ berichtet. Bei einem Feuer um 1642 soll das Dach eingestürzt sein. Das Vorhaben zum Wiederaufbau der Kirche scheiterte zum Ende des 17. Jahrhunderts vor allem durch den frühen Tod Christian II. von Sachsen-Merseburg. Das fehlende Interesse seines Sohnes Moritz Wilhelm, der das von seiner Mutter 1711 wieder aufgenommene Unterfangen des Wiederaufbaus offenbar nicht hinreichend unterstützte und den Baumeister Albert Friedrich Gast ratlos aufgeben ließ, und Geldmangel bremsten die Idee.
Der Turm erhielt 1703 ein neues Uhrwerk. Die hohe Turmhaube, einst das Markenzeichen der Kirche, wurde in der Geschichte mehrmals von Blitzen heimgesucht. Größere Schäden gab es zunächst nicht, dennoch kam es zu Reparaturarbeiten. Für die Jahre 1697, 1753, 1768, 1845 und 1865 sind Blitzeinschläge belegt. Dem Einschlag vom 2. August 1845 folgte ein verheerender Brand, der den Turm bis zu einer Höhe von 22 m (von ursprünglich etwa 45 m) abbrennen ließ und die Glocken einschmolz. Damit war die einzige Bestimmung der Kirchenruine zunichte gemacht, denn man entschied sich daraufhin, das Geläut der Stadtkirche statisch zu verbessern und wiederherzustellen. Bis dahin hatte man sich auf das Geläut von St. Sixti verlassen. Es verkündete die wichtigen Ereignisse, wie Beerdigungen der Herzöge von Sachsen-Merseburg, 10-Tage-Trauer beim Tod von Friedrich Wilhelm I. und die Gottesdienste, die bis 1580 stattfanden. Von 1849 bis 1911 wurde das Kirchenschiff als Garten verpachtet. Während dieser Zeit kam es zu Metalldiebstählen aus der Ruine. Daraus erwuchs die Idee, mit dem Verkauf des Metalls Geld zu sammeln, was von 1854 bis 1858 im größeren Stil umgesetzt wurde. Auf diese Weise kamen 30 Zentner Metall zusammen, darunter auch die Reste der vom Blitz getroffenen Glocken. Doch auch diese Gelder führten nicht zum Wiederaufbau.
In der Ruine stand die Zeit still, doch Merseburg wurde technisch fortschrittlicher und gewann mehr Einwohner. Als man 1887 nach einer Möglichkeit suchte, um Wasser zu speichern, erinnerte man sich an den in Dornröschenschlaf verfallenen Kirchturm. Ursprünglich war der Bau eines Hochreservoirs auf dem Nulandtplatz geplant, bis der Vorschlag eintraf, den Sixtiturm zu berücksichtigen (Abb. 2). Der Ingenieur Walter Pfeffer erhielt die Oberleitung, der Architekt Hugo Wrede entwarf den Plan. Der Turm wurde stabilisiert und nach dem Vorbild des Eschenheimer Turms in Frankfurt a. M. zum Wasserturm umgebaut. Im Dreikaiserjahr 1888, als Kaiser Friedrich III. starb, benannte man den Turm zu seinen Ehren „Kaiser-Friedrich-Turm“. Um diesen historischen Moment zu dokumentieren, beauftragte man den Berliner Bildhauer Joseph Uphues mit der Schaffung eines Reliefporträts aus Bronze und stellte zwei flankierende Löwen auf (Abb. 3). Allerdings war das Relief so unansehnlich, dass es nicht nur öffentlich vom Leiter der Staatlichen Denkmalpflege Berlin kritisiert wurde, sondern man beschloss eine Sammlung für die Errichtung eines Standbilds durchzuführen, welches 1894 durch Emil Hundrieser am Schulplatz (heutige Goetheschule) realisiert wurde. Das mit Sockel über fünf Meter hohe Denkmal stand dort fast 50 Jahre, bis es 1943 demontiert und eingeschmolzen wurde. Auch das Relief an der Sixtikirche verschwand, der Verbleib der Löwen ist unklar. Als ab 1911 das Gelände nicht mehr zur Gartennutzung verpachtet wurde, gab es die Überlegung, das Innere als Lagerplatz für Gerätschaften zu nutzen oder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. So wurde die Kirchenruine ab 1922 nach Plänen von Friedrich Zollinger zum Kinderspielplatz ausgebaut. Pläne sie zur Stadthalle (1924/1925) oder als Feierstätte der NSDAP (1937) umzufunktionieren, scheiterten. In den Jahren 1974 bis 1977 wurde die Kirchenruine zu einem Freilichtmuseum umfunktioniert, das zwei Jahrzehnte lang das Reiterdenkmal für Friedrich Wilhelm III. beherbergte, das sich heute im Schlossgarten befindet.
Heute ist die Ruine ein mystisches Kleinod inmitten einer belebten Stadt. Diese soll zunehmend als Veranstaltungskulisse genutzt werden, beispielsweise im Rahmen des Kulturschatzsommers.
Da die Historie der Sixti-Ruine weitaus umfangreicher ist, als hier dargestellt, seien abschließend noch zwei Literaturempfehlungen genannt:
- Endler, Renate: Das Sixtiviertel - ein verschwundener Teil der Stadt Merseburg. Teil 1: Die Kirche St. Sixti. In: Merseburg einst und jetzt, 15 (2006), S. 7-38; Teil 2: 16 (2006), S. 4-32
- Rademacher, Otto: Die Kirchen St. Maximi und St. Sixti in Merseburg. Merseburg, 1913